Ein offener Brief an Herrn Prof. Papier

Sehr geehrter Herr Professor Papier,

in Anbetracht der heutigen mir unverständlichen Dummheit der Entscheidung des Bundestages mache ich mir um mein Land und die darin zumindest auf dem Papier („Verfassung“) enthaltene Demokratie größte Sorgen.

Ich muss vorausschicken, dass ich Diplom-Ingenieur der Informationstechnik bin und nicht die Erfahrung oder Ausbildung eines Jurastudenten in den Rechtswissenschaften vorweisen kann.

Mit den Stimmen der großen Koalition wurde, wie Ihnen sicher bekannt ist, eine Maßnahme verabschiedet, die laut Eigenwerbung unserer Familienministerin („Kinderschutz: Die Sperrung verhindert, dass mit jedem Seitenaufruf die Vergewaltigung eines wehrlosen Kindes fortgesetzt wird.“) erheblich zum Eindämmen dieser Schweinerein führen soll.

Wie in den letzten Tagen durch die Online- (heise Verlag) und einige Print-Medien (SZ, Spiegel) ging, sind sich die Menschen mit Sachverstand und Fachkenntnis offenbar größtenteils einig darüber, dass der intentionale Zweck dieser Sperre -leider- mit Nichten erfüllt wird und (so die SZ vom Samstag, „von den Problemen der Ermittler sehr weit entfernt ist“).

Die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger, die ebenfalls die technischen Implikationen und ihre Bedeutung verstehen (Stichwort „Zensur“), befinden sich in größter Sorge davor, dass ihr Staat nun mit den obigen vorgeschobenen Argumenten (erster Link) ein Zensurinstrument geschaffen und implementiert hat, das vom Bürger nicht mehr zu kontrollieren ist. Siehe dazu auch die grün markierten Kommentare unter den heise-Artikeln.

Konkret bringt mich das auf drei Fragen an Sie als Präsident des Verfassungsgerichtes der Bundesrepublik Deutschland:

  1. Warum bezieht das Verfassungsgericht als Fuß einer der Säulen unserer Demokratie bei dieser offenkundig unfähigen Regierung nicht endlich öffentlich Stellung?
    Es betrifft ja nicht nur die letzte Verfehlung; Sie müssen sich doch nur das Gesundheitswesen oder die Wirtschaftspolitik („Abwrackprämie“) ansehen. Einige Kreuze alle vier Jahre kann doch nicht die Antwort auf dringende Probleme sein.
    Freilich, Sie könnten argumentieren, dass das nicht Ihre Aufgabe in einer Demokratie sei; aber ist es nicht so, dass unser Staat offenbar mit dieser „Instanz“ von Regierung sehr gefährdet ist, dass wir geradezu offenen Auges Fehler aus unserer Vergangenheit (drittes Reich und seine Entstehung) wiederholen? Und wäre es dann nicht die Pflicht eines jeden einzelnen Bürgers und einer jeden einzelnen staatichen Einrichtung, genau dieses mit allen verfügbaren Mitteln zu verhindern?
  2. Kann eine große Koalition überhaupt verfassungskonform sein?
    „Natürlich, sie wurde demokratisch gewählt.“
    NEIN. Das ist eben nicht richtig. Die eine Hälfte der Bürger wählte rot, die andere schwarz. Jetzt zu sagen, eine rot-schwarze Regierung erfüllt alle Bedürfnisse, ist offenbar fehlinterpretiert, da sich die Wahlprogramme grundsätzlich unterscheiden.
    Das zweite Argument dagegen ist die Stimme des Einzelnen:
    In einer GK (auch „Großen Katastrophe“) hat die (wichtige) Meinung des einzelnen Abgeordneten offenbar sehr viel weniger Gewicht, da das „Mehrheitspolster“ viel größer ist als bei bei einer Koalition mit nur dünner Mehrheit.
    Das wird noch untermauert durch einen Artikel von Herrn Dr. Peter Gauweiler (CSU) im Spiegel Online:
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,618360,00.html
    Er beschreibt, wie wenig Interesse oder auch „Mut“ die meisten Abgeordneten im Parlament besitzen, ihren Vorsitzenden oder gar dem/r Regierungschef/in zu widersprechen und ihre eigene Überzeugung kundzutun.
  3. Zu guter Letzt: Besteht für einen Bundesbürger die Möglichkeit, Verfassungsklage gegen ein Gesetz einzureichen? Falls ja, wie? Ein Link auf die Information würde reichen, ich bin nur auf der Seite des Verfassungsgerichtes sowie bei Internet-Recherchen nicht zufriedenstellend fündig geworden.

Sollten meine Fragen oder Aussagen naiv sein, bitte ich um Nachsicht; ich habe mit meinen 27 Jahren vielleicht noch nicht die notwenige politische oder gesellschaftliche Sachkenntnis erlangt.

Haben Sie vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen,
Christoph Söllner

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