Websperren: Ein offener Appell an Bundespräsident Köhler

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

mit dem Abnicken des Gesetzes für Websperren durch den Bundesrat am heutigen Freitag hat Deutschland Geschichte geschrieben.

Gegen jeglichen Widerstand aus der Bevölkerung (immerhin ~135000 Menschen, bei aller Politikverdrossenheit und kaum einer anderen Petition, die über 1000 Stimmen kommt, sollte das ein entsprechendes Zeichen sein) und gegen die einstimmige Meinung von Menschen mit Fach- und Sachkenntnis (sogenannte „Experten“, nachzulesen in Presseberichten in allen großen Tageszeitungen) hat die Bundesregierung, besser, letztlich die große Koalition, eine gesetzliche Grundlage geschaffen, die unser aller Freiheit sehr gefährdet.

Sie könnten gewisse Parallelen zu Herrn Orwells Meisterwerk 1984 ziehen, in welchem zwar die Vorgeschichte zum Status-Quo (sprich Krieg, Armut und Überwachung) nicht erläutert wird, jedoch relativ klar dargestellt ist, dass ein solches totalitäres Regime nur mit technischen Maßnahmen, eben vollständiger Ton- und Videoüberwachung rund um die Uhr, möglich ist.

Klar, davon sind wir noch lange entfernt, doch Herr Dr. Köhler, wie lange noch? Wo ist denn Schluß? Wieviel Überwachung und Einschränkung braucht denn das, was Sie gerne als Demokratie bezeichnen? Bedingt eine „sichere“ Gesellschaft nicht, dass wir unsere Individualität vollständig abschaffen müssen? Sicher philosophische, nicht einfach zu beantwortende Fragen, aber möchten wir denn schon heute den Grundstein für diese technischen Maßnahmen legen?

Und, sofern Sie die Medienberichte der letzten zwei Wochen verfolgt haben, stehen andere „Anwendungen“ der Filter-Infrastruktur schon in den Startlöchern. Auch da muß ich Sie fragen: Abgesehen von der techischen Nutzlosigkeit, wo ist denn die Grenze, an der eine gesunde Demokratie in eine Diktatur mit 650 Diktatoren übergeht? Sie mögen mir diese provokant formulierte Frage nachsehen, aber wissen Sie, ich möchte dadurch gerne wachrütteln und Sie selbst zum Nachdenken anregen. Sicher ist es nicht alles so schwarz und weiß, wie wir alle uns das vorstellen oder wünschen; aber unsere Regierungsform ist eben nicht optimal. Und wir können doch nicht gutheißen, dass ein wie auch immer gestaltetes Gremium, auch Parlament, sich in die allerkleinsten Belange Einzelner einmischt. Das ist schon in der DDR schiefgegangen.

Beispiel „Filterung von rechtsextremen Inhalten“: Sollten wir anstatt (wirkungslosem) Wegsperren nicht eher alles daran setzen, durch mühsames Erklären und Aufklären die Denke der vom richtigen Weg abgekommenen Menschen zu korrigieren, eben an deren „Vernunft“ zu appellieren? Sicher gibt es unzählige gute Abhandlungen über Entstehung und Bekämpfung von Rechtsextremismus, wahrscheinlich ist eine jahrelange Mammutaufgabe für den Staat. Nur, vor etwas die Augen zu verschließen, hat noch nie etwas genützt.

Deswegen möchte ich Sie fragen, ob es denn immer das Verfassungsgericht sein muß, das dem Betreiben von inkompententen (im Sinne von unwissenden) oder -schlimmer noch- desinteressierten Entscheidungsträgern Einhalt gebietet (sehen Sie sich nur einmal an, wieviele der ~650 Abgeordneten bei der Abstimmung über das Websperrengesetz anwesend waren).

Ich möchte von Ihnen wissen, ob Sie als Bundespräsident Ihrem Volk, Ihrem Land verpflichtet sind oder der momentan amtierenden Regierung. Denn dass die Bundesregierung nicht mehr zum Wohle ihres Landes und bestimmt nicht mit Zustimmung ihrer Bürgerinnen und Bürger agiert, ist -meine ich- zumindest für den winzigen Bereich der Websperren zweifelsfrei zu belegen.

Zuletzt möchte ich deswegen von Ihnen wissen, ob Sie nicht noch einmal die Bundesregierung mit einem großen Paukenschlag auf ihre Legitimation, sprich den Wählerwillen, hinweisen können (ich darf Sie an Ihr Buch erinnern: „Offen will ich sein und notfalls unbequem„).

Mein Appell als Bundesbürger an Sie als meinen obersten Volksvertreter lautet deswegen:
Herr Dr. Köhler, bitte verweigern Sie Ihre Unterschrift unter diesem Gesetz.

Update: Die Antwort aus dem Bundespräsidialamt gibt es hier zum Download.

Mit freundlichen Grüßen,
Christoph Söllner

http://www.mcseven.me/wp-content/uploads/2009/12/outlook2snom_and_grandstream.zip

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